„Missionarische Arbeit, ohne die Menschen mit der Bibel zu erschlagen“

Nachricht Celle, 06. September 2022

Thomas Drechsel ist Diakon im Anerkennungsjahr. Im Familienzentrum der Paulus-Gemeinde kümmert sich der 26-Jährige um Freizeiten, Jugendandachten und Angebote für Kinder. Was fasziniert ihn an der Arbeit im Umfeld der Ev.-luth. Kirche?

 

Thomas Drechsel, welche Verbindungen hat man als junger Mensch zur Kirche?
Thomas Drechsel: Bis ich 15 war, hatte ich tatsächlich mit der Kirche nichts am Hut. Kein Konfirmandenunterricht, keine Konfirmation, keine Gottesdienste, nichts. Eine Schulfreundin war damals als Teamerin für die Gemeinde in Winsen tätig. Pastor Mirco Kühne bot eine Sommerfreizeit an, meine Freundin warb nahezu die komplette Klasse dafür an. Also fuhr ich auch mit.

Welche Erinnerungen haben Sie an diese Freizeit?
Ich bin mit der Einstellung hingefahren: Kirche, was wollen die von mir, ich kann ja nicht mal beten. Tatsächlich hatte ich zwei großartige Wochen in einer kleinen Hütte in Südschweden, lernte tolle neue Leute kennen und hatte einfach eine wunderbare Zeit.

Wie ging es danach für Sie weiter?
Mirco Kühne schaffte es, mich für die Arbeit als Teamer zu begeistern. Obwohl ich in Celle wohnte. Aber er drückte bei mir die richtigen Knöpfe: Du kannst doch gut mit Menschen, du hast doch so eine sympathische Art. Und von da an war ich mit dabei. Nach wie vor beeindruckt mich dabei vor allem diese besondere Gemeinschaft. Auch Fußballvereine, die freiwillige Feuerwehr oder Schützenvereine schaffen Gemeinschaft, aber diese Verbindung innerhalb der Kirchen-Gemeinschaft ist schon etwas sehr Besonderes. Vermutlich begeistert mich vor allem daran, dass da Menschen zueinander finden, die die gleichen Werte vertreten und für sie einstehen. Auf all den Fahrten mit der Kirche war es immer wieder so: Man kennt die Menschen nicht, aber nach drei Tagen fühlt es sich wie Familie an.

Sie scheinen sich in dieser Familie wohlzufühlen?
Ich hatte mit Mirco Kühne den richtigen Mentor an meine Seite. Er sagte mir: „Probier dich einfach aus und wenn Kirche dann doch nichts für dich ist, ist das eben so.“ So bin ich in Winsen hängengeblieben – bis heute. Als Ehrenamtlicher, Teil einer Band, zwischenzeitlich gar im Kirchenvorstand. Diese von mir beschriebene Gemeinschaft ist in all den Jahren nur noch gewachsen. Wenn ich in den Jugendraum in Winsen kam, dann fühlte sich das wie Zuhause an. Und gleichzeitig war es toll, einen Raum zu haben, der eben nicht zu Hause war.

Welche Rolle spielte dabei der Glauben für Sie?
Was ich an der evangelisch-lutherischen Glaubensrichtung so schätze, ist die Offenheit und Toleranz, mit der diesem Thema begegnet wird. Als ich 2013 Susanne Mauk und die Kirchenkreisjugendarbeit kennenlernte, sprach ich das erste Mal über meinen Glauben und hatte dabei immer die Möglichkeit, die Dinge zu hinterfragen, den Finger in die Wunde zu legen. Für mich sind die Gemeinschaft und der Glauben ein und dasselbe. Dieses Gefühl, mit Menschen zusammen zu sein, die ähnlich ticken, wie man selbst.

Gab es in dieser Hinsicht irgendeine Art von Schlüsselerlebnis?
2014 wurde ich während einer Sommerfreizeit in Frankreich gemeinsam mit einer anderen Person getauft. In fließendem Gewässer. Nach der Taufe sind wir gegen den Strom zu einer Klippe geschwommen, es dämmerte schon, aber wir sind trotzdem die zehn Meter nach oben geklettert. Hand in Hand sind wir runtergesprungen und haben die ganze Gegend zusammen geschrien. In diesem Moment spürte ich ein tiefes Vertrauen darin, dass mir nichts passieren würde – dabei bin ich eigentlich ein ziemlich ängstlicher Mensch. Keine Ahnung, was mich dazu getrieben hat, von dieser Klippe zu springen, aber für mich war es das Erlebnis schlechthin.

Sie haben sich dazu entschieden, auch beruflich im kirchlichen Umfeld tätig zu sein. Welchen Weg sind Sie dabei gegangen?
Ich habe Religionspädagogik und soziale Arbeit studiert und bin gerade in meinem integrierten Berufsanerkennungsjahr. Durch Susanne Mauk hatte ich viele Einblicke in die Arbeit als Diakon bekommen und dabei für mich festgestellt: Hey, so ein Diakon macht all die Sachen, die Spaß machen: Fahrten organisieren und begleiten, besondere Aktionen, Jugendandachten usw. - von da an interessierte ich mich besonders für diese Arbeit.

Die Kirchen in Deutschland haben von Jahr zu Jahr weniger Mitglieder, immer weniger junge Menschen können sich mit den Angeboten identifizieren. Wie kann man diesem Nachwuchsproblem begegnen?
Ich glaube, dass wir noch sehr viel verändern können – und sollten – um Kirche wieder attraktiver für junge Leute zu machen. Wichtig ist es, sie dort abzuholen, wo sie sind. Wir müssen noch mehr lernen, die Sprache der Jugend zu sprechen, müssen uns musikalisch anpassen, über neue Formen der Gottesdienstgestaltung nachdenken. Letztlich geht es darum, authentisch zu sein. Meine eigene Geschichte zeigt, dass es am Ende davon abhängt, welchen Menschen man im Kirchenumfeld begegnet. Manche Menschen können einen begeistern, andere nicht.

Wie geht es bei Ihnen beruflich weiter?
Ich mag die Arbeit im Kirchenkreis Celle sehr, bewerbe mich allerdings gerade außerhalb von Celle. Ich möchte gerne mal ein wenig raus aus der eigenen Blase – unabhängig von der Stellensituation. Auf jeden Fall werde ich weiter in der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit tätig sein. Das Wunschziel für die Zukunft wäre die Position als Kirchenkreisjugendwart, da kann man eine ganze Menge bewegen.

Was wünschen Sie sich noch für die Zukunft der Kirche?
Ich würde gerne mithelfen, dass wir den Menschen noch deutlicher machen, dass die evangelisch-lutherische Kirche offen ist für alle und dass wir bereit sind, neue Wege zu gehen. Sei es digital, sei es bei den Gottesdienstformaten – ich denke da zum Beispiel an die Projekte, wo Linienbusse durch den Landkreis fahren, um vor Ort Gottesdienste zu feiern. Außerdem finde ich, dass jeder Kirchenkreis ein Familienzentrum braucht. Hier beim Paulus-Familienzentrum steckt so viel drin – und vieles davon geschieht nicht im direkten Umfeld des Kirchturms. Wir arbeiten mit Grundschulen zusammen oder sprechen Eltern und Kinder auf dem Spielplatz an, um mit unseren Angeboten zu werben. Missionarische Arbeit, ohne die Menschen mit der Bibel zu erschlagen.

Wie sieht Ihre Arbeit im Familienzentrum der Paulusgemeinde aus?
Für mich geht es um den Spagat zwischen Familienzentrum, dem LADEN und der Gemeindearbeit. Für die Gemeinde mache ich klassische Konfirmandenarbeit, in den Räumlichkeiten des LADENs biete ich mit einer Jugendgruppe diakonische Arbeit an. Der LADEN ist ein großartiges Projekt, unter anderem bieten wir hier Mittagessen für einen Euro an, helfen bei der Betreuung und den Hausaufgaben. Im Familienzentrum haben wir unterschiedlichste Gruppen: den Spielkreis, Mutter-Kind-Gruppen und so weiter.

Wie sehr spielt bei diesen Aufgaben eigentlich noch die Kirche eine Rolle?
Mir ist es wichtig, mein religiöses Profil aufrecht zu erhalten. Wenn mich Kinder fragen: „Wie sieht denn die Kirche aus?“, dann gehen wir rüber, stellen uns vor den Lichterbaum, zünden vielleicht eine Kerze an und schließen die Augen. Ein Junge hat mich danach mal nach einem Autogramm von Jesus gefragt, da musste ich an meine eigene Geschichte denken. Ich glaube, dass in jedem von uns eine gewisse Spiritualität, ein Glauben vorhanden ist. Es ist halt immer nur die Frage, was man damit anfängt.