„Was ist Frieden? Und welchen Frieden meinen wir eigentlich?“ Gleich die ersten Worte von Dietmar Herbst regten die Gedanken zu einem Thema an, das erst dann wieder wirklich relevant wurde, als der Frieden in Gefahr geriet. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine stand dann auch im Fokus, als sich der ehemalige Lehrer und Berater des DDR-Ministers Rainer Eppelmann Dietmar Herbst auf der Bürgerkanzel in der Celler Stadtkirche an die Gemeinde wandte.
Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe „Kirche trifft“ des Ev.-luth. Kirchenkreises begrüßte Pastor Hagen Mewes die Besucher in der Stadtkirche und leitete dann bald über zum Hauptdarsteller des Abends. Dietmar Herbst, geboren 1939, berichtete zunächst von seinen frühesten Erfahrungen mit Krieg und Frieden. Das Kriegsende erlebte er als Flüchtling in der deutschen Fremde. Zwar ohne Sprachbarriere und mit gleicher Hautfarbe, aber doch mit Ablehnung und Widerstand. „Ich war sieben Jahre alt“, erinnert sich Herbst, „und wurde von einem anderen Jungen ständig drangsaliert. Irgendwann ignorierte ich die Ansage meiner Mutter, keine Gewalt anzuwenden, und verprügelte meinen Widersacher. Danach war Ruhe. Noch mehr: Aus meinem Feind wurde mein Freund.“
Eine Lehre für den jungen Dietmar: Nicht nur, dass Krieg und Frieden eng miteinander verknüpft seien. Es gebe verschiedene Arten des Friedens und unterschiedliche Formen, diesen zu erlangen. Denn: „Als Christen müssen wir uns unserer Vernunft bedienen. Aber die Macht stellt sich oft gegen die Vernunft.“ Die Aufgabe, auch der Gegenwart, sei es, die Begrenztheit der eigenen Vernunft zu erkennen und entsprechend danach zu handeln. Mit Blick auf die vielen verschiedenen Konflikte in der Welt gehe es darum, so Herbst, „die andere Seite zu verstehen, ohne damit einverstanden sein zu müssen“.
Und noch eine Erinnerung an die eigene Kindheit prägte das weitere Leben von Dietmar Herbst nachhaltig. Den Inhalt und die Interpretation der Fabel „Fuchs und Igel“ von Wilhelm Busch: „Ganz unverhofft an einem Hügel“, heißt es da, „sind sich begegnet Fuchs und Igel. ‚Halt!‘ rief der Fuchs, ‚Du Bösewicht, kennst du des Königs Order nicht? Ist nicht der Friede längst verkündigt, und weißt du nicht, dass jeder sündigt, der immer noch gerüstet geht? Im Namen Seiner Majestät - geh her und übergib dein Fell!‘“
Gebannt verfolgt von den Besucherinnen und Besuchern in der Stadtkirche, darunter Superintendentin Dr. Andrea Burgk-Lempart, zitierte Herbst weiter: „Der Igel sprach: ‚Nur nicht so schnell! Lass dir erst deine Zähne brechen; dann wollen wir uns weiter sprechen.‘ Und alsogleich macht er sich rund, schließt seinen dichten Stachelbund und trotzt getrost der ganzen Welt, bewaffnet, doch als Friedensheld.“
Bewaffnet, doch als Friedensheld. Damit schlug Herbst den Bogen in die europäische Gegenwart, versuchte auch eine aktuelle Antwort auf die Parole der Friedensbewegungen in den achtziger Jahren. Frieden schaffen, ohne Waffen, das sei damals eine Vision gewesen, die heute wie damals davon abhängig sei „wie sehr wir auf die Füchse in dieser Welt vertrauen können“, so Herbst.
1988 lernte er über die westdeutsche Friedensarbeit der evangelischen Kirche den DDR-Pastor Rainer Eppelmann kennen und als jener bei der ersten und letzten freien Wahl in der DDR zum Minister für Abrüstung und Verteidigung gewählt wurde, holte Eppelmann Herbst in seinen Beraterstab. Zwei deutsche Staaten auf dem Weg zur Wiedervereinigung, der Zerfall der Weltmacht Sowjetunion, die Neugestaltung Europas – Herbst war mittendrin und erinnert sich dabei an einen Spruch seines früheren Chefs Eppelmann: „Ich muss mich jeden Morgen in die Schuhe meiner Gegner stellen, um erfolgreich mit ihnen zu verhandeln.“ Dass die europäische Welt heute so aus den Fugen geraten sei, so Herbst, habe auch viel damit tun, dass „der missionarische Feldzug des Westens zu vielen Demütigungen geführt hat“.
Wie reagiere man nun auf die Bedrohungen der Gegenwart, wollte Friedrich Hauschildt, der wie immer interessiert und informiert durch die Fragerunde führte, von Herbst wissen. „Die Anerkennung der Freiheit“, so Herbst, sollte das primäre Ziel in der internationalen Verständigung sein. Problematisch sei dabei nur, dass der Krieg – nach Kant – in der Natur des Menschen liege. „Zum Frieden“, so die Schlussfolgerung von Herbst, „muss der Mensch oft erst überzeugt werden.“ So wie damals, als der siebenjährige Dietmar widerwillig Gewalt anwenden musste. Es gehe also nicht unbedingt darum, den Gegner zu besiegen, so Friedrich Hauschildt, „sondern darum, Feindschaft zu beenden“.
Wie üblich trafen sich Besucherinnen und Besucher anschließend zu Snacks und Getränken im Seitenschiff der Stadtkirche, der Applaus hallte da noch nach. Nicht nur für Dietmar Herbst, sondern auch für die hervorragende musikalische Begleitung von Almut Höner zu Guntenhausen und Guido Jänke.