„Ohne die Beratungsstelle wäre ich nicht mehr am Leben“

Nachricht 10. November 2021

„Kommunal wertvoll!“ heißt der bundesweite Aktionstag der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS), der am 10. November 2021 auf die Wichtigkeit der Suchtberatungsstellen in diesem Land aufmerksam machen soll. Anne Bühler, Leiterin der Suchtberatungsstelle in Celle, sagt: „Wie andere Beratungsstellen auch, bieten wir Hilfe für suchtgefährdete und abhängigkeitskranke Menschen. Suchtberatungsstellen leisten generell einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft und zur Daseinsvorsorge.“

Der diesjährige Aktionstag findet unter dem Motto „Suchtberatung wirkt“ statt. Dazu Anne Bühler: „Um Betroffene zu beraten und zu versorgen, sind wir jederzeit ansprechbar – das war selbst während der Wochen im Corona-Lockdown der Fall.“

Einer derjenigen, die die Hilfe der Suchtberatungsstelle in der Fritzenwiese 7 in Anspruch genommen haben, ist Peter Roller (Name geändert). Hier berichtet er von seiner Krankheit, seinen Erfahrungen mit der Sucht – und wie es ihm gelang, seine Alkoholsucht erfolgreich zu bekämpfen:

 

„Ich war Anfang 30, als mir meine damalige Partnerin die Pistole auf die Brust setzte: Entweder würde ich etwas gegen mein Alkoholproblem tun, oder sie würde die Beziehung beenden. Nach einem Gespräch mit meinem Hausarzt ging ich zu einem Erstgespräch in die Suchtberatungsstelle in der Fritzenwiese, kurz darauf war ich Teil einer Gruppe, in der sich gemeinsam über die Sucht ausgetauscht wurde. Ein wichtiger Schritt – wenn ich nicht nach kurzer Zeit entschieden hätte, die Therapie abzubrechen. Was hatte ich hier zu suchen? So schlimm ging es mir doch gar nicht. Und überhaupt: die Trinkerei hatte ich doch eigentlich ziemlich gut im Griff.

Es dauerte nicht lange, und die Frau, mit der ich zwei Kinder gezeugt hatte, machte ihre Androhung war und verließ mich. Doch selbst hinderte mich nicht daran, weiter zur Flasche zu greifen. Im Gegenteil. Jetzt trank ich sogar noch mehr. Zehn Flaschen Bier, dazu eine Flasche Weinbrand oder Wodka wurden für mich zur Tagesdosis. Weil ich im Schichtsystem arbeitete, trank ich immer mit Blick auf meine Arbeitszeit. Keiner sollte mitbekommen, was ich in meiner freien Zeit so trieb. Viele Jahre ging das tatsächlich gut. Nicht ein einziges Mal erhielt ich eine Abmahnung oder wurden von meinen Kollegen auf mein Problem angesprochen. Und ich selbst? Ordnete alles dem Alkohol unter. Wenn ich nach Feierabend nach Hause kam, öffnete ich die erste Flasche und tat von da an nichts anderes, als immer mehr in mich reinzukippen. Ich ging nicht mehr zum Sport, interessierte mich nicht für Veranstaltungen, blieb lieber auf dem Sofa hocken, als die Natur zu genießen. Einzige Ausnahme: Wenn meine Kinder zu Besuch kamen, blieb ich trocken – nur um dann richtig loszulegen, sobald Sie sich wieder verabschiedet hatten.

So ging das fast 20 Jahre lang. Bis ich 2019 über starke Bauchschmerzen klagte und mich schließlich ins Krankenhaus einweisen ließ. Dort wollte man mich nach den ersten Untersuchungen nicht mehr gehen lassen. Mein Körper war durch den jahrelange exzessiven Alkoholkonsum völlig kaputt. Leberzirrhose, Nierenschäden, Herzkreislauf-Probleme, Magenentzündung – ich war ein Wrack. Nachdem ich mehrere Liter geronnenes Blut erbrach, wurde ich auf die Intensivstation gelegt, wo ich fast einen Monat blieb. Nur mit sehr viel Glück bin ich damals nicht gestorben. Tatsächlich habe ich damals eine zweite Chance erhalten. Denn seit dem Tag der Einlieferung habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken.

Kaum, dass ich das Krankenhaus verlassen durfte, startete ich einen neuen Versuch in der Suchtberatungsstelle. In kürzester Zeit wurde ich erneut in die Gruppe aufgenommen, die mir beim Kampf gegen die Sucht seitdem eine große Hilfe ist. Gleichzeitig wurde sich vor Ort um weitere Angelegenheiten gekümmert, zum Beispiel bezüglich der Reha-Maßnahmen, verschiedenen Anträge und Behördengänge und so weiter. Ich habe gelernt, mich meiner Alkoholkrankheit zu stellen und weiß inzwischen, wie schnell man die Gewalt dieser Sucht unterschätzen kann. Als trockener Alkoholiker achte ich heute darauf, was ich zu mir nehme – nicht nur in flüssiger Form. Mein Sohn plant gerade seine Hochzeit. Ich habe ihn bereits gebeten, mir vorab mitzuteilen, ob irgendwo in den Speisen Alkohol als Zutat verwendet wurde, damit ich erst gar nicht damit in Berührung komme.

Ich bin wieder in der Lage, das Leben zu genießen. Ich achte auf mich und habe noch einmal schätzen gelernt, wie vielfältig und bunt das Leben sein kann. Ich weiß, dass ich sehr viel Glück hatte und dass man sich nur helfen lassen kann, wenn bereit dazu ist, Hilfe anzunehmen. Diese Hilfe habe ich bekommen. Im Krankenhaus und vor allem in der Suchtberatungsstelle. Das Vertrauen, dass ich zu den Mitarbeiter*innen vor Ort und zu meiner Gruppe entwickelt habe, ist unbezahlbar und ein entscheidender Grund dafür, dass ich seit fast drei Jahren trocken bin. Ohne die Therapeut*innen und ohne die Unterstützung der Beratungsstelle wäre ich vermutlich längst rückfällig geworden und sehr wahrscheinlich nicht mehr am Leben. Das weiß ich. Dafür bin ich dankbar. Und deshalb wünsche ich mir, dass auch andere diese Hilfe in Anspruch nehmen werden. Es gibt tatsächlich immer eine Möglichkeit, sich helfen zu lassen. Ich weiß, wovon ich rede.“

 

Die Suchtberatungsstelle der Diakonie in der Fritzenwiese 7, 29221 Celle, ist von Montag bis Mittwoch von 9 bis 16 Uhr, sowie am Donnerstag von 9 bis 18 Uhr und am Freitag von 9 bis 12 Uhr geöffnet. Sie erreichen die Beratungsstelle telefonisch unter 05141/90903-50 oder per E-Mail unter psb.celle@evlka.de. Weitere Informationen unter: https://www.psychosoziale-beratung-celle.de/