Das Wort zum Sonntag - von Hartmut Wensch

Nachricht Celle, 17. Februar 2022

Herausgerufen

Eigentlich ist es nur eine Zwischenbemerkung, eine kurze Überleitung von einer Szene zur nächsten. Lange habe ich ihr deswegen keine weitere Bedeutung zugemessen. Dabei kommt sie häufig vor im Neuen Testament, meist nachdem Jesus ein Wunder vollbracht oder ein Streitgespräch mit den Pharisäern und Schriftgelehrten geführt hat. Danach heißt es oft: „Dann rief Jesus seine Jünger zu sich.“

Gefangen von dem Erlebten

Mir als Leser ist dieses Sätzchen lange nicht wichtig gewesen. Ich wollte weiterlesen und nur wissen, wie Jesus seinen Jüngern den Sinn der vorangegangenen Szene erklärt. Heute ahne ich, dass es sehr wichtig für die Jünger gewesen sein muss, dass Jesus sie zu sich gerufen hat. Wenn man wie sie gerade ein Wunder erlebt hat, dann ist man wie gefangen von dem Erlebten. Ebenso ist es bei einem heftigen Streit, in den man verwickelt war. Ob man es will oder nicht, die Sache hält einen gefangen und man beschäftigt sich weiter damit. Wenn Jesus in so einer Situation seine Jünger zu sich ruft, dann ruft er sie quasi heraus aus dem Erlebten, das ihre Gedanken in Beschlag genommen hat. Er ruft sie weg von dem, was sie aufwühlt, hin zu sich, damit sie in seiner Nähe Ruhe finden und sich neu besinnen können.

Ich stelle mir vor, dass dieser Moment in der Nähe Jesu es den Jüngern erst ermöglicht hat, wieder offen für das zu sein, was Jesus ihnen zu sagen hat. Mit anderen Worten, erst die Ruhe in der Nähe Jesu ermöglicht den Jüngern einen Perspektivwechsel, der es ihnen erlaubt, das Erlebte noch einmal neu aus der Sichtweise Jesu zu betrachten. Manchmal denke ich, dass es uns heute gar nicht so viel anders ergeht, als den Jüngern damals.

Unsere Sorgen und Ängste nehmen unsere Gedanken gefangen

Die täglichen Nachrichten nehmen unsere Gedanken in Beschlag. Was wir morgens auf der Arbeit erlebt haben, beschäftigt uns auch noch am Abend weiter. Unsere Sorgen und Ängste nehmen unsere Gedanken gefangen. Wenn es so ist, dann können wir von den Jüngern lernen. Sie haben sich von Jesus rufen lassen und ich bin mir sicher, dass er uns auch heute zu sich rufen will. Er ruft uns heraus aus unseren Gedanken, die uns nicht loslassen wollen. 

Folgen wir doch diesem Ruf und gönnen uns diese Auszeit in seiner Nähe. Vielleicht nehmen wir dazu sogar die Bibel in die Hand und lesen ein wenig in ihr. Sollten wir dabei dann auf den Satz stoßen: „Dann rief Jesus seine Jünger zu sich“, dann ist das für uns keine belanglose Zwischenbemerkung mehr. Vielmehr ist es eine Einladung zu einem Moment der Ruhe und zu einem Perspektivwechsel, der uns neuen Mut und Zuversicht geben kann. Denn durch ihn sehen wir nicht mehr nur das, was uns beschäftigt, sorgt und umtreibt, sondern wir sehen auch Jesus, der mitten in all dem bei uns ist und uns helfen wird. 

Pastor Hartmut Wensch, Geistlicher Dienst Lobetal