Zuversicht in solcher Zeit?
Das Erlebte steckte allen vieren auch Tage später in den Gliedern: Keine Stunde später hätten die Familie fliehen dürfen. Hinter ihrem Auto, das jetzt staubbedeckt an der Straße stand, seien die Granaten eingeschlagen, bis sie endlich über die Grenze waren.
Alle verlieren! Am verheerendsten die, die ihm ausgeliefert sind
„Der Mensch ist wahrlich ein Verlierer“ heißt es im Koran (Sure 103,2). Ursprünglich hat das möglicherweise schlicht gemeint, dass wir alle den Wettkampf mit der Zeit verlieren werden. Aber seit dem 24. Februar mit dem Überfall auf die Ukraine ist es uns erschreckend konkret geworden: Alle verlieren! Am verheerendsten die, die ihm ausgeliefert sind.
Doch, die Welle der Hilfsbereitschaft überwältigt! Spenden über Spenden, Freiwillige finden Wege dafür zu den Verzweifelten. Nur: Davon wird ja nichts wieder gut. Die Brutalität des Unrechts macht es nicht ungeschehen, das Vertrauen in ein friedliches Zusammenleben - wenigstens hier in Europa – hat einen Knacks. Unsere Erschütterung über die Fratze der Macht samt den Ohnmachtsgefühlen sitzt tief. Glaube an das Gute im Menschen oder an eine künftig bessere Welt – wer wollte darauf wetten?
Verdrängen geht nicht, im Gegenteil
So viel Untergang – das macht Angst. Verdrängen geht nicht, im Gegenteil, es drängt in unsere Gespräche und bei manchen auch in die Träume. Gut, dass die Bibel auch unsere Alpträume anspricht. Aber auf ihre Weise, wie im Psalm 46. Der beginnt mit einem Bekenntnis, das überflüssig erschien in Zeiten, die für uns normal waren: „Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht …“. Danach erst die Aufzählung dessen, was sehr wohl Angst macht. Zugleich fragen lässt: Welche Hilfe finden Menschen gerade in solcher Zeit im Glauben?
Würde ich am liebsten Sie fragen. Immerhin finde ich hier: 1. Das Weltgeschehen gehorcht weder dem russischen Präsidenten noch seinen Atomraketen. Mindestens genauso gehört zur Wirklichkeit, was keiner vorher geahnt hatte - wie damals, als die Mauer fiel. Glaubende wissen: Der Mensch denkt, Gott lenkt. 2. Hier klinken sich die Gebete ein, die jetzt gefragt sind. Die Gebete, die Gott bei den Verlorenen sehen und sie ihm ans Herz legen. Und die Gebete, Gott möge uns den Blick, die Energie, die Ideen und die Bereitschaft wecken, uns nützlich zu machen. 3. Ein neues Danke-sagen für den Frieden, den wir lange wie ein Naturgesetz selbstverständlich genommen haben, um plötzlich zu merken, wie kostbar er ist. – „Der Mensch ist wahrlich ein Verlierer“, wie wahr! Aber Gott ist auch noch da.
Michael Wohlgemuth ist Pastor in Klein Hehlen